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Hidden Champions

va-Q-tec Kühlboxen aus Würzburg sind wohl die technisch höchstentwickelten auf dem Markt. Bis zu zehn Tage am Stück halten sie Temperaturen von bis zu minus 70 Grad Celsius – ohne externe Energiezufuhr. Das ist von enormer Bedeutung vor allem beim Transport von pharmazeutischen Produkten, nicht zuletzt auch bei Corona-Impfstoffen in der zurückliegenden Pandemie

Hidden Champions - Auf den Weltmärkten zuhause

Weltmarktführer – damit verbindet man Namen bekannter Unternehmen, die sich hohe Dominanz in ihrer Produktnische und starke Marken auszeichnen. Man denke an koffeinhaltige Limonade, beliebte Elektroautos, eine Suchmaschine mit hoher Nutzungsintensität oder Produkte von IT-Unternehmen, die angebissenes Obst oder Sprossenfenster zieren – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Womöglich assoziiert man den Begriff Weltmarktführer auch mit komplexen Unternehmensgeflechten und Niederlassungen, die über den ganzen Globus verteilt sind. Oder mit erfolgreichen und stark kapitalisierten Aktiengesellschaften, deren wirtschaftliche Entwicklung in Indizes einfließen, die wiederum zur Bewertung der konjunkturellen Dynamik von Regionen, Nationen und ganzen Kontinenten dienen. Dabei übersieht man leicht, dass auch Unternehmen, die (noch) keine Konzerne sind und trotz ihrer Marktmacht eher regionalen Bekanntheitsgrad haben, an der kontinentalen oder globalen Spitze ihrer Produktnische stehen können. Und ja, auch in Mainfranken sind diese Hidden Champions ansässig.

Begründer der Hidden-Champions-Theorie ist Hermann Simon, emeritierter Wirtschaftsprofessor, Autor und Unternehmensberater, der im Jahr 1990 den Begriff Hidden Champions entwickelte und drei zentrale Kriterien zur Abgrenzung dieses Unternehmenstypus beschrieb.  Hidden Champions führen in ihrer Branche den Weltmarkt auf dem ersten, zweiten oder dritten Platz an oder belegen Platz eins auf ihrem Heimatkontinent. Ferner liegt ihr Jahresumsatz meist unter drei Milliarden Euro und ihr Bekanntheitsgrad ist in der breiten Öffentlichkeit vergleichsweise gering. Oft bedienen sie eng gefasste Nischenmärkte, sind inhabergeführt und nicht börsennotiert. In seinen Studien fand Simon unter anderem heraus, dass besonders mittelständische Unternehmen in Deutschland die Kriterien von Hidden Champions erfüllen, dies nicht zuletzt aufgrund der hohen Leistung in der Industrieproduktion und der Exportneigung der deutschen Wirtschaft. Außerdem belegen sie beim Vergleich betriebswirtschaftlicher Kennziffern meist eine Position zwischen der Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und der Konzerne. 

Die von Preh in Bad Neustadt/Saale entwickelten HMI-Systeme und E-Mobility-Komponenten sind in zahlreichen Automobilen weltweit verbaut, wie beispielsweise dieser Touchscreen im aktuellen Ford Mustang Mach-E
Die von Preh in Bad Neustadt/Saale entwickelten HMI-Systeme und E-Mobility-Komponenten sind in zahlreichen Automobilen weltweit verbaut, wie beispielsweise dieser Touchscreen im aktuellen Ford Mustang Mach-E.. Foto: Preh Group

Seit Einführung des Begriffs und des zugrundeliegenden Theoriegebäudes wurden mehrere Studien durchgeführt, die sich mit der Frage beschäftigen, wie viele Unternehmen in Deutschland den Hidden Champions zuzurechnen sind. Leider weisen die Publikationen meist nur absolute Zahlen aus und listen keine Unternehmensnamen. Eine Ausnahme bildet eine Veröffentlichung der der Universität St. Gallen.  Zwar weicht die Definition der dort genannten „heimlichen Weltmarktführer“ etwas von den Hidden Champions nach Simon ab,  jedoch benennt die Studie einige mainfränkische Unternehmen, die sich bei näherer Betrachtung zurecht als Hidden Champions bezeichnen dürfen: 

  • Die FRÄNKISCHE Rohrwerke Gebr. Kirchner GmbH & Co. KG hat seit 1906 ihren Sitz in Königsberg in Bayern (Landkreis Haßberge). Von dort aus verwaltet sie bereits in dritter Generation die Produktion von Rohren, Zubehörteilen und Systemkomponenten für die Bereiche Hoch- und Tiefbau, Automotive und Industrie. 
  • Die Knauf Gips KG stammt ursprünglich aus dem Saarland, von wo aus sie ihren Sitz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Iphofen (Landkreis Kitzingen) verlegte. Das Familienunternehmen ist unter anderem auf die Herstellung von Trockenbauprodukten und Putzen spezialisiert. 
  • Die in Kreuzwertheim (Landkreis Main-Spessart) ansässige Kurtz Holding GmbH & Co. Beteiligungs KG blickt auf eine Firmengeschichte zurück, die bis ins Jahr 1779 reicht. Neben der Produktion von Schaumstoff- und Gießereimaschinen liegt der Unternehmensfokus in den Bereichen Maschinenbau, Automation und der Produktion von Elektronikkomponenten.
  • Die Würzburger va-Q-tec AG ist eine Ausgründung aus dem Zentrum für Angewandte Energieforschung e.V. (ZAE Bayern). Seit 2001 entwickelt und vertreibt das Unternehmen hocheffiziente Dämmstoffe und Verpackungssysteme, die beispielsweise in der Medizintechnik und Logistik zum Einsatz kommen. 
  • Die Preh GmbH wurde 1919 in Bad Neustadt an der Saale gegründet und stellt neben Bediensystemen für Pkw und Nutzfahrzeuge Sensorik-Komponenten und Batteriemanagement-Steuergeräte für Elektro- und Hybridfahrzeuge her. 
  • Die Rösler Oberflächentechnik GmbH geht auf eine Firmengründung im Jahr 1933 im ehemaligen Sudetenland zurück. Seit 1980 stellt das Unternehmen am Standort Untermerzbach (Landkreis Haßberge) unter anderem Anlagen in den Bereichen Gleitschlifftechnik und Strahltechnik her.
  • Die WENZEL Group GmbH & Co. KG mit Sitz in Wiesthal (Landkreis Main-Spessart) stellt seit 1968 Koordinaten- und Verzahnungsmessgeräte her. Daneben bietet das Unternehmen eigene Messtechnik-Software an.
Ein 200 Tonnen schwerer Hydraulikzylinder von Hunger auf dem Weg nach Shangha
Ein 200 Tonnen schwerer Hydraulikzylinder von Hunger auf dem Weg nach Shanghai. Foto: HUNGER Group

Hervorzuheben ist, dass die hier genannten Beispiele für Hidden Champions bei weitem nicht die hohe Anzahl an international überaus erfolgreichen Unternehmen mit Hauptsitz in Mainfranken erschlägt. Vielmehr finden sich in der ganzen Wirtschaftsregion exportorientierte Hersteller und Dienstleister, die ebenso äußerst erfolgreich auf den Weltmärkten zuhause sind. Viele dieser Unternehmen sind inhabergeführt und in Familienbesitz, was sie ebenso mit dem Großteil der Hidden Champions verbindet. Ebenso gemein ist ihnen ein hohes Maß an Flexibilität, denn anders als bei Konzernen stehen hinter Hidden Champions im engeren oder weiteren Sinn keine komplexen, global gestreuten Entscheidungsregime mit aufwändigen Abstimmungsprozessen. Dies trägt enorm zur Anpassungsfähigkeit und Krisenresilienz Mainfrankens bei.

Warum ist Mainfranken für Hidden Champions und exportorientierte Unternehmen als Standort so interessant? Zum einen tragen die Lage des Wirtschaftsraums mitten in Deutschland und Europa sowie seine hervorragende Erreichbarkeit über alle Verkehrsträger hinweg – zu Wasser, auf den Fernstraßen und Schienen oder über die nah gelegenen internationalen Flughäfen – entscheidend zur Attraktivität Mainfrankens als Produktionsort bei. Hinzu kommen die eng mit der Wirtschaft vernetzten und regional gestreuten Hochschulstandorte und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die einen steten Wissenstransfer für die unternehmensinterne Entwicklung begünstigen und das „Finden und Binden“ hochqualifizierter Fachkräfte erleichtern. Auch wurde in den letzten Jahren intensiv an attraktiven Rahmenbedingungen für Gründer, universitäre Spin-offs und zukunftsorientierte Start-ups gearbeitet, um die Diversifizierung der Wirtschaftsstrukturen voranzubringen. Wichtig ist zudem das breite Angebot an lokal ansässigen Zulieferern, Logistikern und weiteren unternehmensnahen Dienstleistern. Zum anderen ist Mainfranken ohne Frage eine attraktive Region mit einem breiten kulturellen und freizeitbezogenen Angebot, einem Mix aus urbanen und naturnahen Strukturen und vergleichsweise günstigen Standort- und Lebenshaltungskosten. Diese Gründe erklären auch, warum sich weitere deutsche Hidden Champions in Mainfranken angesiedelt haben, deren Hauptsitz außerhalb der Region liegt. Die Studie der Universität St. Gallen benennt 21 solcher Unternehmen,  darunter etwa BASF, Brose, Continental, Daimler, Fresenius, Robert Bosch, Schäffler, Siemens, Südzucker oder ZF Friedrichshafen.

Abschließend ist noch hervorzuheben, dass auch Mainfranken selbst von seinen „heimlichen Weltmarktführern“ profitiert. Neben dem oben genannten Beitrag zur Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz der Region, bieten Hidden Champions als Arbeitgeber eine echte Alternative zu den meist in Ballungsräumen ansässigen Großkonzernen. Sie tragen zum Image der Region bei, investieren vor Ort in die technische und soziale Infrastruktur, sind wichtige Gewerbesteuerzahler und sorgen durch die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern dafür, dass ein Teil der global generierten Wertschöpfung in Mainfranken verbleibt. So wundert es auch nicht, dass diese Unternehmen regelmäßig regional bis überregional bedeutende Auszeichnungen gewinnen, so etwa im Rahmen des „Wettbewerbs familienfreundlichster Arbeitgeber Mainfranken“, dem „Nachhaltigkeitspreis Mainfranken“, „Bayerns Best 50“, beim „Großen Preis des Mittelstandes“ oder beim „European Business Award“.

Titelbild: va-Q-tec Kühlboxen aus Würzburg sind wohl die technisch ­höchstentwickelten auf dem Markt. Bis zu zehn Tage am Stück halten sie Temperaturen von bis zu minus 70 Grad Celsius – ohne externe Energiezufuhr. Das ist von enormer Bedeutung vor allem beim Transport von pharmazeutischen Produkten, nicht zuletzt auch bei Corona-Impfstoffen in der zurückliegenden Pandemie. Foto: va-Q-tec